„Man kann überall etwas Gutes bauen“
Carlo Baumschlager, verantwortlicher Architekt der Pitztaler Bergstation im Interview mit der RAUS!-Magazin über das komplexe Bauvorhaben, die Anforderungen und sowie Grenzen der Architektur.
RAUS!:Eine veraltete Bergstation durch ein Gebäude zu ersetzen, das zukünftig auch Gastronomie beinhalten und sich gleichzeitig mit seiner Formensprache an die Landschaft anpassen soll – was ist Ihnen durch den Kopf gegangen, als diese Anforderung an Sie herangetragen wurde?
CARLO BAUMSCHLAGER: Wir kommen aus einer Region, in der das Bauen in den Bergen nichts Ungewöhnliches ist. Von daher waren wir nicht überrascht – es war eher Freude, dass neben Funktionalität ein Anspruch an die Architektur gestellt wird. Denn wenn in den Bergen gebaut wird, dann sind das in der Vielzahl immer noch eher funktionale Bauten. Meine Meinung dazu: Wenn man in den Bergen baut, sollte man sich den Ort genau anschauen. Man kann überall etwas bauen, das sich in die Gegebenheiten einfügt.
RAUS!: Dieses neue Gebäude, das auf 3.440 Metern liegt und dessen Anforderungen u.a. maximale Transparenz ist, erforderte eine ungewöhnliche Idee. Wie haben Sie sich inspirieren lassen?
C.B.: So ungewöhnliche Ideen benötigte es gar nicht. Es geht eher darum, den Ort zu verstehen. Ich kannte den Pitztaler Gletscher bereits, aber es ist noch etwas anderes, einen Ort unter einer bestimmten Aufgabestellung zu sehen. Als Architekt ist man darauf geprägt, zur Umgebung direkt eine Intuition zu entwickeln. Erst danach werden physikalische und statische Anforderungen zusammengetragen. Die Bergspitze soll auch durch das Gebäude, das auf ihr errichtet wird, bleiben, was sie ist: eine Bergspitze. Diese ist geprägt durch extreme physikalische Voraussetzungen, in diesem Fall starke Sonneneinstrahlung, hohe Windlast, Schneewächten – und diese muss man dann auch im Entwurf berücksichtigen.
RAUS!: Gibt es Gebäude mit vergleichbaren Anforderungen in ähnlicher Höhe?
C.B.: Dies ist die höchste Bergstation, die in dieser Form realisiert wurde. Es gibt inzwischen zwar Berghu?tten und Gebäude, die die Typologie der Berge aufnehmen und architektonisch gut umsetzt, aber diese Gletscherstation auf 3.440 Metern mit Restauration und Tagungsräumlichkeiten ist einzigartig.
RAUS!: Sie erwähnten bereits, dass es physikalische Extrembedingungen gab. Waren das die größten Anforderungen, die Sie berücksichtigen mussten?
C.B.: Es waren gar nicht die physikalischen Anforderungen an das Gebäude selbst, denn diese waren uns bekannt. Die größte Herausforderung war eher die Baustellenorganisation und -logistik. Zum einen hat es die Baustelle aufgrund der äußerst begrenzten Fläche des Felsplateaus nicht zugelassen, Material und Bauteile zu lagern. Zum anderen gab es nur in einer kurze Zeitspanne von Juni bis September ruhiges Wetter, in der der Bau des Gebäudes ü?berhaupt möglich war, denn fast alle Bauteile wurden mit dem Helikopter auf das Plateau geflogen.
RAUS!: Gibt es Gegebenheiten, die Sie als Architekt an Ihre Grenzen bringen und in denen die Anforderungen nicht realisierbar sind? Wie gehen Sie mit solchen Anforderungen um?
C.B.: Es sind eher moralische Grenzen, die man beim Entwerfen beru?cksichtigen sollte, zum Beispiel, wenn die Wertschätzung fu?r das Gebäude fehlt. Oder der Auftraggeber vollkommen unrealistische Zeitvorstellungen in Bezug auf die Realisierung hat. Meist sind solche Faktoren aber bereits im Vorfeld geklärt. Tatsächlich entwerferische Grenzen gibt es meiner Ansicht nach nicht. Man kann u?ber alles Nachdenken und sich Gedanken zu einem Thema machen.